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Kaum eine Region der Schweiz weist eine ähnliche Theatertradition auf wie die Innerschweiz und die Stadt Luzern. Osterspiele, Fastnachtspiele und das lateinische Schultheater waren Ausdruck einer katholischen Kulturform, die in der Bevölkerung verankert war. So gründete die Tradition vorwiegend im Laien-, nicht im Berufstheater.
Luzern verfügte dank der Jesuiten auch schon früh über Theatersäle – zunächst im Marianischen Saal, dann in der Michaelskirche und nach 1708 über der Sakristei in der Jesuitenkirche. Es gab aber keine weltlichen Spiele. Dies änderte erst 1740, als die Jesuiten bereit waren, den Raum über der Sakristei an die Stadt abzutreten. In der Folge wurde er umgebaut und mit Kulissen ausgestattet – das „Obrigkeitliche Comödienhaus“, wie der Theatersaal hiess, war der eigentliche Vorläufer des Stadttheaters.
Die repräsentative Reussfront vor 1949 mit Stadttheater, Freienhof und Jesuitenkirche. Lesen Sie auch die unrühmliche Geschichte zum Freienhof
Noch gab es in Luzern aber kein professionelles Theater. Mehrheitlich traten Theatertruppen aus Österreich und Deutschland auf. Erst nach dem Ende der alten Herrschaft mehrten sich die Stimmen, die ein eigenes Theater forderten. Luzern war Eidgenössischer Vorort und damit regelmässiger Sitz der Tagsatzung, die Gesandten wollte man mit einem angemessenen Unterhaltungsangebot zufriedenstellen. Ein neues Theater wurde nun als Prestigeobjekt vorangetrieben.
Eine wichtige Rolle spielte die Theater- und Musikliebhabergesellschaft, die Vorläuferin des heutigen Luzerner Sinfonieorchesters, die seit 1806 bestand. 1835 wurde eine Aktiengesellschaft gegründet, doch mit der Geldbeschaffung harzte es. Erst als die Zunft zu Safran ihr altes Zunfthaus verkaufte und den Erlös in den Theaterneubau einbrachte, war die Finanzierung gesichert. Sie erhielt im Gegenzug das „ewige Stubenrecht“ im neuen Theatergebäude – einen Festsaal zum freien Gebrauch.
Umstritten war auch die Standortfrage. Schliesslich entschied sich die Stadt gegen den ehemaligen Kurzweilplatz vor dem Baslertor (heute Kasernenplatz), der von der Bevölkerung abgelehnt wurde, weil der Ort des früheren Schweinemarktes vor allem für Lärm, Armut und Schmutz stand. Schliesslich blieb der Standort an der Reuss, anstelle der Schiffshütte und des Kornmagazins. Hier wurde das Theater – in einer Achse mit der Jesuitenkirche und dem Freienhof – zu einem prominenten Teil der Flaniermeile an der Reuss.
Mit dem Neubau wurde 1837 begonnen, als Architekt wurde Louis Pfyffer von Wyher (1783–1845) verpflichtet. Er folgte dem Ethos der Sparsamkeit, Schlichtheit und Funktionalität, seine Bauten waren von einer Ästhetik des pragmatischen Klassizismus bestimmt – so auch das Stadttheater. Pfyffer konzipierte ein viergeschossiges längsrechteckiges Gebäude mit flachem Satteldach und einer mit Pilastern und einem Dreiecksgiebel versehenen Schaufassade auf der Reuss- und dem Eingang an der westlichen Schmalseite. Der Zuschauerraum bestand aus drei Rängen, die von Säulen getragen wurden.
Eröffnet wurde das Stadttheater am 7. November 1839 mit „Wilhem Tell“ von Friedrich Schiller. Während des ganzen 19. Jahrhunderts wurden aber vor allem Lustspiele und Possen gezeigt. Das komische Genre überwog die historischen Schauspiele und romantischen Ritterdramen. Auch in der Musiksparte setzte das Stadttheater – wie die meisten Häuser im deutschsprachigen Raum – auf die leichte Muse: Opern von Bellini, Donizetti und Mozart, Operetten von Offenbach.
Luzern hatte nun zwar ein eigenes Theater, aber keine eigene Schauspieltruppe. Praktisch jedes Jahr wurden die Räumlichkeiten an wechselnde Theaterdirektoren verpachtet, die ihre Truppen als Privatunternehmen führten. Weiterhin lag das professionelle Theaterschaffen in den Händen der reisenden Theatergesellschaften.
Finanziell kam die Aktiengesellschaft auf keinen grünen Zweig. 1846 verkaufte sie das Theatergebäude mit dem gesamten Fundus an Dekorationen und Requisiten an die Stadt Luzern. Diese musste tief in die Tasche greifen, als sie das Gebäude als Teil der städtebaulichen Sanierungen im Vorfeld des Eidgenössischen Schützenfestes von 1901 renovierte. Die projektierten Kosten wurden um 36 Prozent überschritten.
Das Bild nach dem Umbau zeigt den Eingangsbereich und rechts den Erweiterungsbau an der Rückseite des Theater (vorne links die Gartenecke des Freienhofs). Der heutige Foyervorbau entstand erst 1968 bis 1970. Luzern putzte sich damals für das Eidgenössische Schützenfest von 1901 heraus – auch das Stadttheater sollte ein Facelifting erhalten. Es traten aber so viele Mängel zutage, dass der Bau praktisch ausgehöhlt werden musste; der Kredit wurde um 36 Prozent überschritten. Zufrieden waren die Medien in Luzern mit dem Resultat – vor allem mit dem neuen grosszügigen Foyer: Es biete „der Damenwelt genügend Promenier- und Konversationsraum“, hiess es.
Einschneidend war der Grossbrand von 1924. In der Nacht vor der Saisoneröffnung brach ein Feuer aus, das grosse Teile des Dachstocks sowie die dort eingelagerten Kostüme, Kulissen und Requisiten zerstörte. Durch das Löschwasser entstand erheblicher Schaden im Zuschauerraum und an der technischen Infrastruktur.
Weiterhin blieb das Stadttheater aber ein finanzielles Sorgenkind. Nicht zuletzt deshalb wurde 1931 der Regiebetrieb eingeführt, wie er in anderen Städten der Schweiz seit Jahren bekannt war. Luzern erhielt damit den ersten Theaterdirektor mit festem Gehalt von der Stadt – und zwar unabhängig vom Betriebsergebnis. Dies schuf die Voraussetzungen für einen modernen, öffentlich subventionierten Theaterbetrieb mit einem festen Ensemble und mit festen Betriebsstrukturen.
1995 wurde das Stadttheater in eine Stiftung überführt, an der neben der Stadt auch der Kanton Luzern und die Agglomerationsgemeinden beteiligt sind. Seither heisst es Luzerner Theater.
Heute ist das Luzerner Theater die älteste in ihrer historischen Bausubstanz noch erhaltene und kontinuierlich bespielte Spielstätte für professionelles Theater in der Schweiz. Sie ist auch die einzige Dreispartenbühne der Zentralschweiz, wo Schauspiel, Oper und Ballett unter einem Dach vereint sind.
Das Theatergebäude ist zwar immer wieder umgebaut worden – zuletzt 2012, als die Sitzzahl auf unter 500 reduziert wurde, um den Komfort für die Besucher zu erhöhen. Doch in seiner Kenzeption als Rangtheater des 19. Jahrhunderts gilt es seit Jahrzehnten als Auslaufmodell – zumindest unter Fachleuten.
Deshalb drängen die Theaterverantwortlichen auf einen Neubau, für den sich mit der Salle Modulable zunächst eine Lösung abzuzeichnen schien. Mit dem Scheitern der Salle Modulable war auch die Zukunft des Theaters wieder ungewiss. Mit einer Testplanung wurde im 2018 geprüft, ob ein Neubau oder Ergänzungsbau möglich ist. Testplanung Theater Luzern 2018 (PDF)Das Siegerprojekt «Überall» von Ilg Santer Architekten, Zürich.
Umfassend ist die Geschichte des Luzerner Theaters beschrieben in: Bernd Isele (Hrg.), Bühnenlandschaften – Theater in der Zentralschweiz, Verlag Pro Libro Luzern, 2016; insbesondere: Susanna Tschui, Ein Theater wird doch Luzern immer haben wollen? Das Luzerner Theater im Wandel der Zeit, S. 62ff., und Tobias Hoffmann, Das Haus an der Reuss im kulturpolitischen Umbruch, S. 80ff.
Die Geschichte der Salle Modulable
Die grossen Zukunftspläne für einen multifunktionalen Musik- und Theatersaal (Salle Modulable) sind gescheitert. Weshalb und wie es mit dem Luzerner Theater weitergehen soll, lesen Sie hier.
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