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Seidenhof

Schnelllauf durch die Geschichte

Kaum an einem anderen Ort lassen sich die Einschnitte in der Geschichte der Stadt Luzern so gut  ablesen wie im Gebiet des ehemaligen Seidenhofs zwischen Reuss und Pilatusstrasse, zwischen Floraweg und Seidenhofstrasse: Der einst idyllische Baumgarten der Jesuiten wandelte sich im 19. Jahrhundert zum einzigen Ort, an dem Luzern für kurze Zeit an der Industrialisierung schnupperte, wo danach die Luxushotellerie in ihrer ganzen Monumentalität erstrahlte und wo im 20. Jahrhundert die Pracht der Belle Epoque zugunsten moderner Verwaltungs- und Einkaufsgelegenheiten niedergerissen wurde.

Blick vom Dach des Postgebäudes über das Areal des ehemaligen Seidenhofes (vor 1896). Rechts ragt der Westtrakt des Hotels Du Lac (an der Seidenhofstrasse) in das Bild hinein. Sehr gut sind der Hotelgarten und dahinter das Kesselhaus sowie die Hotelwäscherei zu erkennen (mit Kamin). Hinter den Gleisanlagen sind die alte Gasfabrik und der Kellerhof (in der Mitte des Bildes) zu sehen, hinter der Wäschehänge (auf dem Flachdach des Hotelanbaus) die Villa Luise an der Stelle der heutigen Sammlung Rosengart.

Die Floraecke an der Einmündung der Seidenhof- in die Pilatusstrasse: Das Bild wurde vor 1924 aufgenommen und zeigt das Kesselhaus und die Wäscherei des Hotels Du Lac. Links ist der Seidenhof-Trakt des Hotels zu erkennen, hinten das Gartenrestaurant Flora und die Rückseite des Hotels Gotthard. 1979 entstand hier ein Neubau, in dem sich heute Ochsner-Sport, Brasserie Flora und ein Teil des Globus-Gebäudes befinden. Darin ist die altehrwürdige Metzgerei Kauffmann, die am Anfang der Quartierentwicklung in der Hirschmatt stand, mit einer Filiale erhalten geblieben.

1574, als die Jesuiten nach Luzern kamen und das Kollegium in der Kleinstadt eröffneten, hatten sie ein Problem: Luzern war als Pestloch verschrien; allein zwischen 1574 und 1582 zählte man vier Pestwellen. Mehrfach war die Schule geschlossen, immer wieder drohte die Abberufung der Mission durch den Ordensgeneral. Dies versuchte die Obrigkeit in Luzern zu verhindern, indem sie den Jesuiten verschiedene Privilegien gewährte. Damit wiederum war die Bevölkerung nicht einverstanden. Die Lösung kam 1582, als Hauptmann Hans Pfyffer den Jesuiten sein Haus neben der Schiffhütte (neben dem heutigen Theater) schenkte. Dazu kam der grosszügige Baumgarten als Erholungsstätte für die pestkranken Ordensmitglieder.

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 fielen die Besitzungen an den Staat. In der Seeburg, wo die Jesuiten seit 1624 über den Jesuitenhof verfügten, liess sich 1809 ein Industrieller aus Gersau nieder. Martin Nigg war aus dem dortigen Kämmelzentrum eingewandert, Gersau war die Hochburg der Seidenspinnerei in der Innerschweiz. 1809 eröffnete er in der Seeburg eine Florettspinnerei. 1813 beschäftigte er bereits über 1000 Personen, ging 1818 aber Konkurs. Grund waren die Krisenjahre von 1816 und 1817 mit Missernten und Hungersnöten. 1832 wagte er im Seidenhof einen Neustart und richtete dort, auf dem Gebiet des Jesuitengartens, eine kleine Seidenkämmerei und -färberei ein. 1856 beschäftigte er 67 Arbeiterinnen und 150 Heimarbeiterinnen. Anfänglich befand sich die Liegenschaft noch unmittelbar an der Reuss. In Holzschuppen, die über das Wasser ragten, wurde die Seide gewaschen. Dahinter stand die Fabrik, die aber allmählich zu klein wurde. Zudem wurde der Betrieb durch die Aufschüttung des Theaterquais (heute Bahnhofstrasse) von der Reuss abgeschnitten. 1863  verlegte Cesar Nigg, der Sohn von Martin Nigg, der inzwischen den Betrieb übernommen hatte, die Fabrik nach  Reussbühl-Rothen.

Jetzt entstand auf der Ostseite des ehemaligen Spinnereiareals eines der prachtvollsten Hotels der damaligen Zeit – das Hotel Du Lac. 1866 begann der Zürcher Franz Josef Villiger-Spillmann mit dem Bau des Westflügels an der Seidenhofstrasse, 1874 wurde der Westflügel erweitert. 1882 wurde ein Verbindungstrakt gebaut, 1897 kam das Mittelgebäude mit dem unverkennbaren Kuppelbau an der Bahnhofstrasse dazu. Auch in der Innenausstattung markierte das Hotel Du Lac mit seinen bemalten Sälen, mit seiner Eingangshalle und Treppenanlage „einen Höhepunkt in der Luzerner Hotelentwicklung“, so Peter Omachen in seinem Standardwerk „Luzern – eine Touristenstadt“ von 2010. Später errichtete Hermann Burkard-Spillmann, der auch Präsident des Internationalen Hoteliervereins war, das Gartenrestaurant Flora an der Pilatusstrasse. Der sogenannte Floragarten war ein mit Bäumen bestandener Gartenhof mit Kiesboden und Glasschiebedach. Er wurde auch für Ausstellungen genutzt.

Rechts hinten das Hotel Du Lac auf einer Postkarte von 1912, daneben das Postgebäude von 1886/87, das heute noch steht. Die Seebrücke wird hier als „Quaibrücke“ bezeichnet; das Hotel Gotthard, links hinter dem Postgebäude, sollte übrigens ursprünglich „Zur neuen Brücke“ heissen. Mit seinem Bau war 1869 begonnen worden – zeitgleich mit der Eröffnung der neuen Brücke.

1948 wurde das Hotel Du Lac abgerissen. Es wich dem Telefongebäude der PTT, in dem sich noch heute die Swisscom befindet. Auf der Rückseite wurde an der Pilatusstrasse von 1977 bis 1979 der sogenannte Flora-Komplex mit Hotel, Warenhaus, Bank, Büros und Schulräumen errichtet. Die Oberflächenarchitektur mit angeklebten Dächern, Fassadenverkleidungen und Reklameelementen, so Otti Gmür in seinem „Architekturführer Luzern“ von 2003, widerspiegelte den Zeitgeist der Siebzigerjahre. Das Gebäude des Bankvereins (heute UBS) auf der anderen Seite des Floraweges war schon 1969 – nach sechsjähriger Bauzeit – an der Stelle des 1869/70 erbauten Hotels Gotthard eröffnet worden.

Der westliche Teil der ehemaligen Seidenspinnerei war zwischen 1884 und 1889 in drei Etappen mit dem neuen „Seidenhof“ überbaut worden, einem dreiteiligen Gebäudekörper mit einer Frontausdehnung von 64 Metern entlang der Bahnhofstrasse. Von den drei Teilen steht heute nur noch der Westflügel. Der östliche Teil des Seidenhofes wurde zwischen 1956 und 1959 durch einen Neubau der Schweizerischen Volksbank ersetzt (heute Migros-Bank). Dieser nahm die Physiognomie des Vorgängerbaus auf: Stockwerkhöhen und Fenstereinteilungen fügten sich in das Erscheinungsbild des bestehenden Gebäudes ein. Auf den mittleren Baukörper traf dies nicht mehr zu, als dieser 1971 von der National-Versicherung gekauft und durch einen kubischen Zweckbau ersetzt wurde.


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